So gegen 03.00 Uhr werde ich wach und muss mal runter auf die
Toilette. Wilner und Susanne
stehen immer noch an der Reling und unterhalten sich. Einer von der
Ladecrew kommt auch hinzu. Auf meine Frage, ob wir jetzt auf dem Rio
Negro fahren, antwortet er mit: „Nein, es ist der Rio Amazonas.“ Ich
schaue mir das Ganze noch ein bisschen an und lege mich dann wieder
in meine Hängematte.
Unsere letzte Nacht in der Hängematte ist völlig ereignislos
verlaufen. Nur der Flummi neben mir
schaukelt permanent hin und her, so dass mir schon ganz schlecht ist
(natürlich nicht vom Bier
gestern Abend). Er grunzt und schnarcht, dass es eine Freude ist.
Aber genau wie ein Flummi
springt er auch aus seiner Hängematte auf, als es hell ist.
Beim erneuten Wachwerden ist es bereits kurz vor Sonnenaufgang.
Hans ist auch schon auf
Deck. Also schnell die Kamera aus der Kabine holen. Auch Manfred
begegnet mir unterwegs. Aber ich bin noch rechtzeitig wieder auf
Deck, um den Sonnenaufgang mitzuerleben.
Rio Madeira
Der Kapitän fährt ziemlich nah am
rechten Ufer entlang. Es ist übrigens daserste Mal auf unserer Tour, dass es auf
dem Wasser bergauf geht. Und das nach
über 2.000 Flusskilometern. Die Landschaft
hat sich radikal verändert. Zum
einen ist der Rio Negro viel, viel breiter
als der Rio Madeira, das Wasser ist auch
nicht mehr lehmgelb, sondern wie der
Name 'negro' schon sagt, tiefschwarz.
Die Ufer sind überwiegend flach, und es
sind viele Hütten auf Stelzen zu sehen.
Die Hütten am Ufer sehen aus, als wenn
sich seit Jahrzehnten nichts bewegt hätte;
alles mehr schief als gerade. Armut,
Armut, Armut. Es sind auch jede Menge
Kühe zu sehen, auf ein-gezäuntem
Weideland, das zum größten Teil unter Wasser steht. Und die Kühe
stehen ebenfalls bis zum
Bauch im Wasser. Ein paar Delfine tummeln sich auch. Immer wieder
gibt es auch Einbuchtungen, in welche Wasser vom Hauptstrom
abfließt. In der Mitte des Flusses langge-zogene Inseln.
Die Typen auf dem Schiff, eine bunte Mischung von exquisit bis skurril. Aussteiger, jung, alt, außer Fernost ist fast alles vertreten. Überwiegend aber Einheimische. Ich bin während dieser drei Tage von etlichen Einheimischen angesprochen worden. Trotz intensiver Arbeit mit Händen und Füßen ist eine Verständigung leider nicht möglich. Bis auf einen Typ waren alle auch sehr nett und freundlich. Für die Einheimischen sind wir eben die Exoten.
Auf dem Oberdeck sind auch zwei Fahrräder festgezurrt. Eines
davon, schon älter und mit Slicks
bestückt, gehört einer weiblichen Person. Ihr Alter traue ich mich
nicht zu schätzen, wenn ich es trotzdem müsste, würde ich Anfang 30
sagen. Ich habe sie auf dem Oberdeck oft in ihrer Hängematte sitzen
und kleine Umhängetäschchen häkeln sehen. Wilner unterhält sich mir
ihr und erfährt, dass sie aus dem Süden Brasiliens kommt und nach
Lust und Laune Richtung Norden unterwegs ist. Das alles mit dem Rad,
oder, wenn das nicht möglich ist, wie jetzt mit dem Schiff. An
Gepäck hat sie nur das, was im Moment am Körper ist. Ansonsten so
gut wie nichts, kein Rucksack, keine Fahrradtaschen oder
sonstiges. Gegen Abend sitzt sie mit vier anderen Typen an Deck in
einer ruhigen Ecke und ist mit diesen Typen am Kiffen. Sie steigt
genau wie wir auch in Manaus aus.
'Roxy'
Erwähnenswert ist auch Roxi. Ob der Name stimmt, wissen wir nicht, aber er oder sie hatte es auf dem Rock stehen. Bei Roxi handelte es sich um einen Transvestiten, der alle amüsiert. Immer wieder neue outfits, immer am Tanzen und immer auf der Suche nach neuen Partnern.
Inzwischen ist unser Schiff auf die andere Uferseite gewechselt und das Wasser ist wieder lehmig-gelb. Allem Anschein nach sinkt hier momentan der Wasserspiegel. Mittlerweile reiht sich Haus an Haus. Alt, älter, neu, schief und gerade, und das alles auf einem im Augenblick schmalen, langen Landstreifen. Wie mag es hier wohl bei Hochwasser aussehen? Boote ja, Autos nein. Selbst eine Stromleitung läuft hier entlang. Baumwolle, Bäume mit roten Früchten, eine riesige Insellandschaft. Die 'richtigen' Ufer sind nicht zu sehen. Sieht zwar alles sehr idyllisch aus, aber hier leben?
Wilner verspricht, dass wir gegen 11.00 Uhr Manaus sehen. Alle stehen und staunen, als Rio Negro und Solimoes nebeneinander herfließen, ohne sich zu vermischen. Ein grandioses Schauspiel. Da bin selbst ich ganz wach, obwohl ich heute Morgen ziemlich kaputt bin und immer wieder einnicke. Zum Glück habe ich ja einen der zwei Stühle auf dem Oberdeck erwischt. Auch Manni scheint keine Energie mehr zu haben, er liegt inzwischen auf seinem Gepäck und schläft. Nur die Brasilianerinnen haben viel zu tun, sie hübschen sich so richtig auf. Da können wir wohl alle nicht mithalten.
Manaus
Elf Uhr ist dann aber doch lange vorbei, als wir endlich nach 75
Stunden auf dem Frachter in
Manaus anlegen. Glück für mich, ein richtiger Anlegesteg, keine
Holzbohle. Pech, der Steg liegt
ca. 1 m über dem Ausstieg. Aber Wilner passt wieder auf seine 'Mama
Theresa' auf und zeigt mir
eine Stelle, wo es niedriger ist. Ich soll sogar auf seinen Rucksack
treten. Aber ich schaffe es auch
so. Leider habe ich nicht bedacht, dass die Plattform glühend heiß
ist und so verbrenne ich mir
beim Abstützen buchstäblich die Finger. Bei gefühlten 50 ° C suchen
wir ein Taxi mit dem Friedel
und ich sowie das gesamte Gepäck zum Hotel befördert werden. Endlich
wieder Klimaanlage. Was
der Dschungel nicht geschafft hat, schafft Manaus im Handumdrehen.
Ich bin total fertig, zwei Tage nix gegessen, wahrscheinlich viel zu
wenig getrunken, übermüdet und überdreht.
Ich möchte ein Zimmer 'so hoch wie möglich' und so liegt unser Zimmer dann auch im 8. Stockwerk und hat eine gigantische Aussicht. Auch Dusche und Klimaanlage funktionieren perfekt. Also erstmal duschen und schlafen.
Doch wir werden noch durch einen Hotelangestellten gestört, der die Getränke in der Minibar kontrolliert. Als er dann aber auch noch die Drahtkleiderbügel zählt, muss ich doch grinsen. Später weckt Wilner uns dann mit dem Fragebogen zur Tour. Das wird ja richtig Arbeit, gibt es doch viel zu loben und auch ein bisschen (berechtigte) Kritik bzw. Verbesserungsvorschläge.
Um halb vier schleichen wir alle zur Oper. Selbst langsame Bewegungen treiben die Schweiß-tropfen auf die Stirn. Aber der Besuch lohnt. Das Teatro Amazonas ist ein interessantes und imponierendes Gebäude.
Teatro Amazonas
Das Opernhaus entstand im Jahre 1896, nachdem sich mehrere
europäische Ensembles über die
zu kleinen Auftrittsräume beschwert hatten. Architekten, Baumeister,
Maler und Künstler wurden aus ganz Europa engagiert. Die
Pflastersteine rund um die Oper wurden eigens aus einem Sand-
Kautschuk-Gemisch angefertigt, um die Vorführungen nicht durch die
vorbeifahrenden Pferdefuhrwerke zu stören. Ein Großteil der
Baumaterialien wurde aus Europa importiert. So wurden beispielsweise
die Kacheln der Kuppel aus Deutschland und die Pflastersteine vor
dem Theater aus Portugal eingeführt. Die Säulen des Theaters wie
auch die Treppengeländer sind aus englischem Schmiedeeisen, die
Bühnenvorhänge wurden in Frankreich bemalt, wo auch Lüster und
Spiegel hergestellt wurden. Der Marmor kam aus Italien, das
Porzellan aus Venedig. Zum Auftritt des italienischen Startenors
Enrico Caruso in der Amazonas-Oper kam es aber nicht, weil er
während einer Cholera-Epidemie in Manaus eintraf. Caruso wollte sein
Schiff nicht verlassen und reiste unverrichteter Gesänge wieder ab.
Aufgrund des Kurssturzes bei Kautschuk erlebte die Oper bereits 1907 ihre vorläufig letzte Aufführung. 1929 und 1975 wurden teils misslungene Renovierungsarbeiten durchgeführt. Erst Ende der 80er Jahre wurde das Opernhaus komplett und erfolgreich restauriert. Besondere Herausforderungen waren dabei das feuchte Klima mit über 165 Regentagen im Jahr und die Bedrohung durch Termiten. Nach über acht Jahrzehnten der Stille konnte die Oper schließlich am 17. März 1990 u.a. mit Placido Domingo wiedereröffnet werden.
Proben in der Oper von Manaus
Wir werden durch das Opernhaus geführt und
können nur staunen. Welche Pracht. Teilweise
müssen wir in Filzpantoffeln über die
kostbaren Fußböden rutschen. Und auch im
Theatersaal dürfen wir Platz nehmen und
kurze Zeit den laufenden Proben zusehen.
Erwähnenswert ist auch noch, dass die Kautschuckbarone ihre Wäsche zum Waschen nach Lissabon geschickt haben.
Bar do Armando
Danach sitzen wir noch in der Bar do Armando
am Rande der Plaza. Leider gibt es auch hier
keine Pina Colada, wir sind hier im Caipi-Land. Doch die Outfits der Frauen sind erfreulich
gewöhnungsbedürftig, besonders für die
Männer. Stoff scheint in Brasilien knapp zu sein.
Abends essen wir in einem tollen Lokal. Es ist unser Abschiedsessen. Eine gute Speisekarte, freundliche und kompetente Bedienung. Besonders das wissen wir jetzt sehr zu schätzen.
Wilner bedankt sich bei uns. Er sagt, dass wir eine tolle Truppe waren, harmonisch, verlässlich. Er hatte ja bereits mehrfach erwähnt, dass wir nicht seine Gruppe, sondern seine Familie wären. Es waren auch wirklich harmonische Wochen, kein Stress und kein böses Wort inner-halb der Gruppe. Auch Hans und Manni finden lobende Worte über unsere Tour und auch über Wilner und übergeben unser Trinkgeld. Wir waren mit Wilner ja ebenso zufrieden, wie er mit uns. Schade, dass unsere Zeit in Südamerika fast um ist.
Die Abrechnung geht dann zügig. Manni ist auch wieder fit, er
sagt, dass sich seine Phyton sehr
über frische Luft gefreut hat. Aber wir wissen immer noch nicht, wie
groß sie wirklich ist.